Mittwoch, 25. Mai 2011

Ich glaube, also spinn ich?

Eins vorweg: Ich bin kein besonders gläubiger Mensch. Ich glaube an die Wissenschaft und wissenschaftliche Beweise, an mein Bauchgefühl (davon hab ich – schon aus rein anatomischen Gründen – jede Menge) und die Tatsache, dass man sich immer zweimal im Leben trifft (jedenfalls meistens immer).

Da bislang weder ein Beweis für die Existenz Gottes noch für seine Nichtexistenz geliefert wurde, sehe ich mich außer Stande, reinen Gewissens und leichten Herzens einen Gottesdienst zu besuchen, inbrünstig mitzusingen und an religiösen Handlungen teilzunehmen. Anlässe, bei denen so etwas erwartet wird, rufen bei mir immer ein gewisses Unbehagen hervor. Einzige Ausnahme bildet der Kindergottesdienst mit Krippenspiel am Nachmittag des Heiligabends. Ich sehe darin eher eine Art Märchenstunde mit Kindertheater, woran im Anschluss man nach Hause geht und nach dem Kaffeetrinken direktamente das Abendessen und die Bescherung für die Kinder vorbereitet.

Schwieriger wird’s schon bei Hochzeiten in katholischen Kirchen: Das dauert immer ewig, man muss dauernd aufstehen, Köpfchen senken, Hände falten, alle murmeln vor sich hin, es gibt einen regelrechten Dialog zwischen dem Pfarrer und der Gemeinde, wobei nur die Textstellen (meist) einwandfrei verständlich sind, die der Pfarrer rezitiert – es sei denn, er spricht vom „Gebäck des Lebens“, wenn er eigentlich das Gepäck meint, wenn er das beschwerliche Leben eines Gemeindemitglieds darstellen mag; aber das nur nebenbei. Außerdem wird meist aus den Briefen des Paulus an die Korinther gelesen. Spätestens bei der dritten Hochzeit ist das dann nicht mehr spannend, sondern regelrecht einschläfernd. Hat man sich dann damit abgefunden, dass auch bei diesem Gottesdienst keine bahnbrechend neuen Texte gegeben werden, wird man jäh aufgeschreckt, weil wieder alle aufstehen und fürchterlich schief singen. Im Film ist das immer ganz charmant: Die Gemeinde singt schön und nur einer – meist einer der Hauptdarsteller oder wenigstens eine verhältnismäßig wichtige Nebenfigur – brummt oder quäkt schräg neben der eigentlichen Harmonie. Im real life ist der akustische Rahmen doch eher breit gefächert: Jeder scheint sein eigenes Liedchen zu zwitschern – und dann auch jeder in einer ganz eigenen Tonart und seinem speziellen Tempo. Das ist spätestens beim zweiten Mal nicht mal mehr ansatzweise lustig.

Insofern fand ich die Hochzeit meiner Freundin Juliane ganz prima: Die Trauung fand in einer historischen Dorfkirche statt, dauerte nur eine Stunde und es wurde nicht von der ganzen Gemeinde gesungen. Stattdessen bot eine Solistin das Ave Maria von Schubert dar, dass es einem fast das Herz zerriss. Es gibt ja so Lieder, bei denen man automatisch Pipi in die Augen bekommt, auch wenn man den Text gar nicht versteht. Ich könnte zum Beispiel jedes Mal Rotz und Wasser heulen, wenn ich Luciano Pavarotti Nessun dorma singen höre – einfach ergreifend! Aber zurück zu glauben oder nicht glauben und den Folgen davon: Neulich ging ich zu einer Beerdigung eines katholischen Gemeindemitglieds. Ich war zunächst überrascht, am Tor zur Trauerhalle ein Schild vorzufinden, auf dem darum gebeten wurde, von Kondolenzbekundungen abzusehen. Im Eingangsbereich lag ein Kondolenzbuch aus, in welches sich jeder Trauergast – also auch ich mich – eintrug. Anschließend ging man an den Stuhlreihen vorüber zum Sarg, der in der Mitte des vorderen Bereiches aufgebaut war. Um den Sarg herum lagen bereits Kränze und Gestecke; davor stand eine Schale mit Weihwasser und einem Silberdings (ich weiß halt nicht, wie man das nennt… Klöppel vielleicht?) darin. Jeder stand einen Moment vor dem Sarg, nahm den – ich nenn’s jetzt einfach mal so – Silberklöppel aus dem Weihwasser und besprengte damit den Sarg. Um nicht weiter aufzufallen, hab ich das dann auch gemacht und anschließend mein Blumengesteck zu den anderen Gebinden abgelegt. Auf das Sichbekreuzigen habe ich allerdings verzichtet.

Bereits während ich mir anschließend einen Platz suchte, fühlte ich mich seltsam: Hätte ich das mit dem Weihwasser überhaupt machen dürfen? Schließlich glaube ich nicht an Gott, dem zu Folge auch nicht daran, dass Jesus dessen Sohn ist, der die Sünden der Menschheit auf sich genommen hat und durch seinen Tod und die anschließende Auferstehung Hoffnung bringt. Insofern habe ich eine Handlung vollzogen, die – in meinen Augen – ausschließlich von Leuten vollzogen werden dürfte, die einen Sinn darin sehen und wirklich glauben, dass diese Tat etwas (was auch immer) „bringt“. Anyway, ich muss jetzt damit leben, dass ich vielleicht eine „Sünde“ begangen habe – zumindest in den Augen derjenigen, die sich von diesem Fehltritt auf den Schlips getreten fühlen. Das macht die Sache aber nicht leichter für mich: Ich bemühe mich, jedem Menschen Respekt entgegen zu bringen und Verständnis für seinen Glauben zu entwickeln. Das darf ich dann aber durch solch unüberlegte Handlungen, die ich nur vornehme, „weil man das so macht“ oder „weil alle das so machen“, nicht beschmutzen. Schließlich fordere ich für meine Geisteshaltung ebenfalls Respekt ein und möchte nicht bekehrt oder missioniert werden.

Ich finde zwar einiges höchst befremdlich, was unter dem Vorwand des Glaubens so alles passiert, und es ist bestimmt auch nicht alles vom Glauben gerechtfertigt, was so in der Welt passiert. Aber ich werd's wohl kaum ändern können. Aber ich bin auch nicht gezwungen, mich aktiv daran zu beteiligen. Vermutlich habe ich kein Kapitalverbrechen dadurch begangen, dass ich einen Sarg mit Weihwasser besprengt habe. Aber ich sehe einfach keinen Sinn darin, zumal ich die „Heiligkeit“ des Weihwassers an sich schon in Frage stelle (mal ganz davon abgesehen, wodurch das Weihwasser denn nun heilig wird oder nicht, bin ich spätestens seit diversen Lausbubenfilmen davon überzeugt, dass man eben nicht automatisierte Handlungen vollziehen sollte, ohne sich vorher eingehend davon überzeugt zu haben, was man sich da so ins Gesicht und an die Kleidung schmiert, ohne anschließend im Wortsinne angeschmiert zu sein).

Insofern habe ich eine – in meinen Augen – unnütze Handlung vollbracht, bei der jedoch wenigstens niemand zu Schaden gekommen ist. Allerdings gibt es religiöse Riten, die sehr wohl auch körperlichen Schaden anrichten können: Ich musste mich schon arg beherrschen, um nicht lautstark röchelnderweise die Halle zu verlassen, als der Pfarrer mit Weihrauch bewaffnet die Halle betrat und die Luft mit Weihrauch„duft“ schwängerte. Meine Atmung funktionierte nur noch ganz flach und mir traten Tränen in die Augen – einerseits, weil jemand gestorben war, den ich vermissen würde, andererseits aber eben auch, weil ich kaum noch Luft bekam und mir die Augen brannten. In Zukunft muss ich mir wohl eingehender überlegen, an welchen Veranstaltungen ich teilnehme und welche ich eher meiden werde.

Ich glaube ganz fest, dass ich das schaffe – Gott sei Dank ist unsere Familie nämlich generell eher nicht religiös geprägt, so dass die Anlässe, einen Gottesdienst besuchen zu müssen, in überschaubarer Zahl bleiben dürften!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen