Sonntag, 1. Mai 2011

Bitte warten!

Ein Arztbesuch kann so Manches sein – beängstigend, beruhigend, informativ (auf jeden Fall), erlösend, belastend – aber auch extrem erheiternd. Dazu muss man allerdings mit der richtigen Einstellung in die Praxis gehen. Im Wartezimmer spielen sich Szenen ab, die mit etablierten Comedyshows durchaus mithalten können – wenn man sich darauf einlässt und mit offenen Augen und Ohren und auch aufnahmebereitem Geruchssinn die Wartezeit verbringt.
Seitdem bei mir eine Allergie auf Duftstoffe und Aromen festgestellt wurde, gehe ich nahezu parfümfrei durchs Leben. Umso stärker empfinde ich die mich umgebenden Düfte, was manchmal auch zur wahren Belastungsprobe ausartet. Ich bin nämlich obendrein auch noch Asthmatiker und manche Aromen schnüren mir im wahren Wortsinne die Luft ab.
Nachdem ich z.B. im zarten Alter von 18 Jahren ein wahrer Fan des Duftes „Trésor“ von Lancôme war, ist es ziemlich verwirrend, dass genau dieser Duft quasi gar nicht mehr geht. Sobald er mir auch nur in Feinstpartikeln in die Nase gerät, bekomme ich regelrecht Zustände, muss flach atmen, um nicht zu viel davon in die Bronchien zu bekommen, und bin erlöst, sobald entweder ich oder die Duftträgerin den gemeinsamen Raum verlässt. Auch sehr „männliche“ Düfte sind mir oftmals unerträglich. Es kommt eben immer auf die Inhaltsstoffe und – nicht zu vergessen – auch die Dosierung und somit Konzentration des Duftes an.
Im Wartezimmer der ortsansässigen Arztpraxis nun traf es sich, dass ich den kompletten Rundumschlag „genießen“ durfte: Zunächst nahm rechts neben mir eine ältere Dame Platz, die in Gedenken an ihren (vielleicht verstorbenen) Gatten scheinbar in dessen Rasierwasser gebadet hatte. Also flach atmen, das geht schon irgendwie. Dann betrat ein Angehöriger der Dorfprominenz den Raum und setzte sich auf den freien Stuhl zu meiner Linken. Dezentes After Shave war ganz ok, doch wusste ich bis dahin noch gar nicht, dass dieser Mensch rauchte. Nicht, dass mich das etwas anginge, aber gestört hat’s mich in diesem Moment schon arg. Ich war also gefangen zwischen Qualm und Männerparfum.
Man mag jetzt denken, dass damit doch Werbeklischees en masse erfüllt wurden und ich mich hätte glücklich schätzen dürfen. Aber mal ehrlich: Wer die Axe-Werbekampagne entwickelt hat, in der die Massen von jungen Frauen einen Typen verfolgen, der sich mit dem Duft „verfolgmich“ besprüht hatte, gehört heute noch ausgepeitscht und täglich in diesem Duftwasser gebadet, damit er sich vom durchSCHLAGENden Erfolg seiner Idee selbst immer wieder überzeugen kann. Ich würde am liebsten wegrennen, sobald mir diese künstlichen Gerüche in die Quere kommen. Das ist allerdings nicht immer möglich: Mein pubertierender Sohn hat mittlerweile die wunderbare Welt der Drogerie-Parfumabteilung für sich entdeckt und probiert verschiedenste Düfte sehr gerne und deren Wirkung aufs andere Geschlecht – meiner bescheidenen Meinung nach – exzessiv aus.
Unter uns: Stinkesocken und Schwitzeshirts sind nicht angenehm. Aber dieses regelrechte Einwickeln in artifizielle Wohlgerüche wird doch überbewertet. Einfach mal waschen und ein Deo unter die Achseln, damit der Entstehung des Schweißes teilweise vorgebeugt und das bakterielle Zersetzen des Schweißes (wodurch überhaupt erst der unangenehme Körpergeruch entsteht) verzögert wird. Es kann so einfach sein…
Der Gipfel war schließlich erreicht, nachdem der rauchende parfümierte Dorfpromi den Platz geräumt hatte, als sich eine ältere Frau dort niederließ, die offenbar in „Trésor“ gebadet hatte, was jedoch nicht die übrigen Körperdüfte verdecken konnte, die diese Person verströmte. Ich ertrug die Pein, indem ich mir ausmalte, was z.B. Ingo Appelt oder Hape Kerkeling aus der Erfahrung einer solchen Situation machen würden. Das war dann wirklich lustig und ich konnte ein breites Schmunzeln nur mit Mühe unterdrücken.
Ich bin zwar – wie vermutlich jeder Mensch – immer ganz froh, wenn ich endlich aufgerufen werde und die Wartezeit ein Ende hat. Mal ehrlich: Wer wartet schließlich schon gerne? Abgesehen davon wollte ich endlich ein klärendes Gespräch mit meinem Arzt führen; ich war also sowieso schon etwas ungeduldig gewesen. Aber dieses Mal war der Aufruf meines Namens die wahre Erlösung! Triumphierenden Blicks und erhobenen Hauptes erhob ich mich von meinem Platz der olfaktorischen Qualen und schritt am Empfangsbereich vorbei. Dabei registrierte ich schon den nächsten Angriff auf die Geruchsnerven der im Wartezimmer befindlichen Patienten, der mir nun erspart bleiben würde. Im Sprechzimmer dann empfing mich mein Arzt, der glücklicherweise offenbar mit guter Körperhygiene nicht unbedingt das Übertünchen des natürlichen Körpergeruchs mittels diverser Duftwässerchen gleichsetzt.
Der Gute!

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